Bei mir bleiben und über mich sprechen
„Ich werd Dir jetzt mal zeigen, wie falsch Du liegst!“💭
Wer die erste Hürde im Umgang mit Polarisierung überwunden hat und das Wort ergriffen hat, kämpft oft mit dem eigenen Anspruch: Ich muss die andere Person überzeugen. Ich muss ihr zeigen, dass sie Unrecht hat – notfalls mit lauter Stimme und moralisierenden, persönlichen Angriffen. Davon auszugehen, dass das Gegenüber wissentlich einen Standpunkt äußert, der polarisiert oder sogar populistisch und menschenverachtend ist, fällt schwer. Der Schluss liegt nahe, die andere Person müsse nur endlich begreifen, wie es wirklich ist und wieso sie Unrecht hat. Das liegt an unserem Wunsch nach Integrität und Kohärenz. Dahinter steht auch etwas Wohlwollendes: Ich traue der anderen Person zu, sich „richtig“ zu verhalten. Ich unterstelle ihr daher Unwissenheit und denke, sie müsse nur endlich verstehen. Dieser Mechanismus ist verständlich. In vielen Gesprächen ist er auch sinnvoll: Grenzen setzen und klare Kante zeigen, irritieren, zum Nachdenken anregen.
Doch dieser Mechanismus kann trügerisch sein – denn die andere Person hat dasselbe Bedürfnis. Wir alle möchten verstanden werden und die Welt in unserem Sinn gestalten. Das heißt: Wir lassen uns überhaupt nicht gerne überzeugen, schon gar nicht, wenn es um Moral geht. Also folgt ein Ping-Pong aus Rede und Gegenrede. Vielleicht kommt es sogar zum Konflikt.
In manchen Gesprächen – wenn Ihnen die Beziehung zu Ihrem Gegenüber wichtig ist oder Sie mal etwas Neues ausprobieren möchten – kann es daher helfen, bei sich selbst zu bleiben und die andere Person einzuladen, Ihre Perspektive wahrzunehmen. Dazu ist es hilfreich, die eigene Perspektive zu reflektieren. Oft entsteht Empörung und Wut, weil eigene Werte nicht respektiert werden. Wenn Sie Ihre Werte klar vor sich haben, dann können Sie sie auch verständlich artikulieren. Im Folgenden finden Sie einige Vorschläge, wie das gelingen kann.
Was sind meine Werte? Was ist mir im Gespräch wichtig?
- „Ich finde, jeder Mensch verdient Respekt.“
- „Für mich ist es wichtig, dass wir ruhig miteinander reden. Ich möchte Dich nicht angreifen und erwarte das auch von Dir.“
- „Für mich zählen Würde und Respekt, egal wer vor mir steht.“
- „Mir ist es wichtig, dass in meinem Beisein niemand abgewertet wird.“
- „Ich möchte nicht auf Kosten anderer Menschen diskutieren.“
- „Da steigt bei mir der Puls. Das geht gegen alles, an das ich glaube.“
- „Es sind doch alle Menschen gleich viel wert.“
Was wünsche ich mir von der anderen Person?
- Abwertungen benennen und verhindern:
- „Bei Dir klingt es so, als wären alle gleich. Es würde mir helfen, wenn Du keine Pauschalaussagen machst. Menschen sind doch verschieden.“
- „Ich möchte XY in diesem Gespräch nicht infrage stellen. Das ist für mich ein feststehender Wert.“
- Perspektivwechsel anregen:
- „Bei mir kommt das gerade so an: XY“
- „Versuch doch mal meine Perspektive dabei zu sehen.“
- Themenhopping verhindern:
- „Ich würde gerne nochmal über Thema XY sprechen.“
- „Lass uns bei einem Thema bleiben.“
- „Lass uns mal bei dem Punkt bleiben.“
Ich muss nicht alles mit allen immer diskutieren. Gespräche abzubrechen gehört dazu. Diese Tipps geben eine Anregung für das Sprechen mit einem Gegenüber, das grundsätzlich gesprächsbereit ist. Manchmal hilft auch ein Hinweis auf die eigenen Überzeugungen und Werte, um das Thema damit begründet zu beenden: „Diese Aussage geht gegen alles, an das ich glaube: Respekt, Menschenwürde, gleiche Rechte für alle. Das diskutiere ich nicht.“
Hinweis: Diese Tipps sind nicht als Intervention im Umgang mit Diskriminierung oder Gewalt gedacht, sondern dienen einer Selbstbefähigung und Kommunikationskompetenz in schwierigen Situationen. Wenn Ihnen im Alltag abwertende Äußerungen, Diskriminierung oder Extremismus begegnen, Sie sich damit allein fühlen oder Sie professionelle Unterstützung benötigen, dann gibt es die „Mobile Beratung“, die bundesweit mehr als 50 Beratungsteams hat. Hier sind Ansprechpartner:innen für Sie da.